Elektronisches Rezept, E-Patientenakte, Apps und Videosprechstunde –die Digitalisierung der Medizin hat in der Corona-Pandemie an Tempo zugelegt. Macht diese Entwicklung unsere Gesundheitsversorgung besser? Wo liegen Chancen, wo Herausforderungen? Und wie können wir Gesundheitsdaten schützen und nutzen? Das haben Expertinnen und Experten beim vierten Online-Dialog #DIGITALESHESSEN am Donnerstag diskutiert. Eingeladen haben die Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Prof. Dr. Kristina Sinemus, und Karl-Heinz Streibich, Präsident der acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Mitglied des Rats für Digitalethik. Mit Prof. Dr. Keywan Sahrobi, Technische Hochschule Mittelhessen, und Dr. Susanne Springborn, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Hessen, diskutierten sie die Frage: „Gesundheit: Bringt Corona die digitale Medizin?“. Moderiert hat Dr. Holger Schmidt, Journalist und Netzökonom.
„Die Pandemie hat uns etwas in Erinnerung gerufen, was manchmal zu schnell vernachlässigt wird: Die Gesundheit ist eines unserer höchsten Güter“, sagte Ministerin Sinemus. „Zugleich hat Corona der Digitalisierung enormen Schub verliehen – auch in der medizinischen Versorgung. Die digitale Medizin macht Gesundbleiben und Gesundwerden einfacher – für jeden von uns. Die Landesregierung hat daher umfangreiche Maßnahmen angestoßen, um digitale Formen der medizinischen Versorgung voranzutreiben. Damit wollen wir vor allem die unterstützen und entlasten, die uns heilen und pflegen. „Wer digital heilt, hat am Ende mehr Zeit für das, was wirklich zählt: die Patienten“, sagte Ministerin Sinemus.
Hessen hat dafür das Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health gegründet. Das KTE Hessen unterstützt Ärzte und Pfleger und macht Prozesse und Strukturen effizienter. Außerdem hat die Landesregierung 10.000 Tablets in Pflege- und Behinderteneinrichtungen sowie Palliativorganisationen gebracht, damit ältere und pflegebedürftige Menschen in Kontakt mit der Familie bleiben können. Mit dem neuen DIGITALEN Freiwilligen Sozialen Jahr Hessen wird sichergestellt, dass diese Menschen das Tablet auch bedienen und nutzen können.
E-Health-Technologien auf dem Vormarsch
„Die Digitalisierung des Gesundheitssystems ist ein datenfokussierter Innovationsprozess“, sagte acatech-Präsident Karl-Heinz Streibich. „Wir brauchen deshalb mehr Daten. Daten teilen hilft heilen, dafür gibt es bereits viele Beispiele. Unsere Beschränkungen beim Umgang mit Gesundheitsdaten bleiben das größte Hindernis auf dem Weg zu einem digitalisierten, dynamisch lernenden Gesundheitssystem zum Nutzen der Menschen. Wir müssen den Datenschutz in besseren Einklang mit dem Schutz von Leben und Gesundheit bringen.“
Prof. Dr. Keywan Sohrabi, Professor für Medizinische Informatik und Mitglied des KTE-Direktoriums, stellte zwei aktuelle Forschungsprojekte vor: die Cranio-App zum besseren Überwachen der Therapie von Schädeldeformitäten und QuietamNox zum audiovisuellen Überwachen von Säuglingen und Kleinkindern, die an Erkrankungen wie Pseudo-Krupp (virale stenosierende Laryngitis) leiden. „Mit E-Health-Technologien können wir zum Beispiel Eltern unterstützen, Kinder mit Pseudo-Krupp besser zu beobachten und einzuschreiten, bevor es zu anfallartigem Husten und Atemnot kommt“, sagte Professor Sohrabi. „Wir ersetzen mit unseren Anwendungen nicht den Arzt. Wir machen Diagnose, Beobachtung und Behandlung aber deutlich sicherer, zuverlässiger und einfacher – und können Eltern und anderen Angehörige dadurch einen Teil Ihrer Sorgen nehmen.“
Allgemeinmedizinerin Dr. Susanne Springborn nutzt schon seit 2018 E-Health-Technologien wie zum Beispiel Videosprechstunde in ihrer Praxis in Wiesbaden-Breckenheim. „Ich habe positive Erfahrungen mit der Videosprechstunde gemacht: Sie spart Zeit, Geld und Aufwand“, sagte Springborn. „Die Patienten finden eine Sprechstunde in der eigenen Wohnung sehr angenehm – vor allem, wenn man nicht mehr so mobil ist. Sie können dabei aktiv beim Befund mitmachen: zum Beispiel Blutdruck oder Puls messen. Ärzte müssen sich aber immer der Grenzen bewusst sein: Wir können den kalten Schweiß eines akuten Herzinfarktes während der Videosprechstunde weder fühlen noch riechen noch sehen.“
Zum Online-Dialog #DIGITALESHESSEN:
In der Corona-Pandemie zeigt sich: Die Digitalisierung erhöht ganz maßgeblich die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit. Die Corona-Krise hat den Nutzen der Digitalisierung deutlich gemacht, aber auch gezeigt, wo noch Gestaltungsspielräume sind. Konkrete Beispiele digitaler Veränderungsprozesse und Fragen digitaler Souveränität stehen deshalb im Mittelpunkt der Dialogreihe #DIGITALESHESSEN. Die Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Prof. Dr. Kristina Sinemus, und acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, laden in regelmäßigen Abständen dazu ein, mitzumachen und mitzudiskutieren. Bisherige Themen waren: „Digitale und resiliente Städte und Kommunen“, „Unternehmen – digital, auf Abstand, produktiv“ und „Corona – Turbo oder Bremsklotz für Gründer?“.